Heinrich Bedford-Strohm

„Die Wurzeln der Migrationsbewegungen liegen neben den unmittelbaren Bedrohungen in Kriegsgebieten und durch Menschenrechtsverletzungen vor allem in den extremen sozialen Unterschieden in der Welt.“

Heinrich Bedford-StrohmRatsvorsitzender der EKD, Landesbischof Bayern

Die Welt war immer schon in Bewegung, darüber belehrt uns die Geschichte. Doch hat die Mobilität heute – durch außergewöhnliches Bevölkerungswachstum, durch weltweite Verkehrs- und Medienvernetzung, durch Verschärfung von gewalttätigen Konflikten – eine enorme Verdichtung der Migration erreicht.

Migration als „Motor der menschlichen Entwicklung“

Was genau ist eigentlich Migration? Wie entsteht sie? Und wo liegen Probleme und Chancen? Der Filmbeitrag von e-politik geht diesen Fragen auf den Grund.

Migration © WissensWerte – Clips zur politischen Bildung, e-politik.de

Migration hat viele Gründe

Es gibt zwar keine universell gültige Definition des Begriffs Migration, aber folgende Beschreibung der Vereinten Nationen wird oft verwendet: Migration (vom lateinischen „(Aus)Wanderung“ oder „Umzug“) wird es genannt, wenn eine Person oder Gruppe ihren Wohnort verlässt und länger als ein Jahr in einem anderen Land verbringt, unabhängig davon, ob dies freiwillig oder unfreiwillig geschieht, unabhängig von der dahinter stehenden Motivationslage und unabhängig davon, ob dies legal oder illegal geschieht.

Flucht vor Verfolgung, Krieg oder Gewalt ist dabei nur ein Teilaspekt. Denn Migration ist deutlich komplexer: Es ist ein Prozess, welcher in den seltensten Fällen einen einzelnen Ursprung hat. In der Regel beeinflussen mehrere Faktoren die Entscheidung zur und den Ablauf der Migration. Wanderungsentscheidungen sind für den Einzelnen in der Regel schwerwiegende und oft auch in Fluchtsituationen langwierige Entschlüsse: das gewohnte Lebensumfeld, die Familie, die Nachbarschaft, das Land werden verlassen. Diese Entscheidungen fallen umso schwerer, je weniger eine kurzfristige Rückkehroption besteht. „Sie spielen sich in einem Spannungsfeld von Individuum, Gruppe und Gesellschaft sowie zwischen Gegenwartserfahrungen und Zukunftserwartungen ab. Dementsprechend vielfältig sind die Faktoren, die in Migrationsentscheidungen hinein spielen.“  (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung)

Die Forschung unterscheidet zur Bestimmung der Wanderungsfaktoren, die auf der gesellschaftlichen Ebene wirksam sind, üblicherweise zwischen Druckfaktoren (push factors), die im Abwanderungsland wirksam sind, und Sogfaktoren (pull factors), die vom Aufnahmeland ausgehen. Da diese Faktoren sich oft gegenseitig bedingen und analytisch nicht immer getrennt werden können, spricht man auch von Wanderungssystemen. Zu den zentralen Wanderungsfaktoren gehören ökonomische, politische, sozio-kulturelle, demografische und ökologische Faktoren. Eine strikte Identifizierung der einzelnen Bestimmungsgründe für eine Migration ist kaum heraus zu kristallisieren. Eine weitere Problematik hinsichtlich der Motive muss und darf nicht außen vor gelassen werden. Migrationbeweggründe lassen sich oftmals nicht rational determinieren.

Migration ≠ Flucht

Ein Flüchtling ist eine Person,

„die […] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer  politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den mSchutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will […]“

Art. 1, A 2 der Genfer Flüchtlingskonvention

Flucht hat viele Gründe

Die Anzahl der Menschen, die derzeit als Flüchtlinge an die Türen Europas anklopfen, verleitet vor allem die politischen Entscheidungsträger dazu, nur die reinen Zahlen zu betrachten. Doch hinter jedem einzelnen Menschen, der sich auf den beschwerlichen und oft auch lebensgefährlichen Weg aus der Heimat in ein vermeintlich sicheres Land begeben hat, steckt eine eigene Geschichte von Verfolgung, Lebensgefahr, Vertreibung oder Not. Jede Flucht hat gute Gründe. Leben zu können, in Sicherheit zu sein, Hilfe und Unterstützung zu bekommen und eine Zukunft zu haben, sind Beweggründe, denen sich das christlich geprägte Europa nicht entziehen kann.

Verfolgten Obdach und Asyl zu gewähren, ist in Deutschland ein Verfassungsziel. Verfolgten Menschen beizustehen ist auch Anliegen der Kirchen und geschieht auf vielerlei Weise. Dazu gehört auch, sich mit den unterschiedlichen Ursachen und Gründen zu beschäftigen, die Menschen dazu bringen, zu fliehen bzw. zu migrieren.

Serious Game

auf und davon – Flucht und Migrationsgeschichten

Migrationsgründe

Krieg, Terror und Gewalt

Kriege in Syrien und Irak, Bürgerkriege in Nigeria, Somalia, Südsudan und der DR Kongo, Kämpfe in Afghanistan und Libyen zwingen Millionen Menschen zur Flucht. Den Menschen vor Ort drohen schwere Repressalien, Vergewaltigungen, Folter und Tod. Bekannte Terrorgruppen sind unter anderem Boko Haram, al-Shabaab und IS.

Die Kriege des Jahres 2015 – Beitrag auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.:
https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/themen/die-kriege-des-jahres-2015

Soziale Günde

Manchmal geben die privaten Lebensverhältnisse den Anlass zur Migration. Wenn beispielsweise Ehepartner getrennt voneinander in zwei unterschiedlichen Ländern leben, führt der Wunsch nach Familienzusammenführung einen der Partner ins fremde Land. Partnerschaft, Heirat oder sonstige familiäre Gründe geben somit den Anlass für soziale Migration. Doch auch Konflikte im sozialen Umfeld wie fehlende soziale Kontakte kein Familiären Halt etc. lassen Menschen migrieren.

Zerstörte Lebensgrundlagen, Klimamigration

Dürre, Überschwemmungen, Missernten, Überfischung und ökologischer Raubbau – der durch die Industrienationen verursachte Treibhauseffekt und die Ausbeutung von Rohstoffen vernichtet die Existenzgrundlagen von Millionen Menschen.

» Beispiel: Klimaflucht im Pazifik

Politische, religiöse oder ethnische Verfolgung

Auch aus Ländern, in denen kein Krieg herrscht, fliehen Menschen vor lebensbedrohlichen Situationen. So werden Menschen zum Beispiel wegen ihrer Religion, ethnischen Zugehörigkeit, politischen Gesinnung oder sexuellen Neigung diskriminiert und verfolgt. In zehn Ländern droht Homo- und Transsexuellen die Todesstrafe, in vielen weiteren Ländern lange Haftstrafen. Das Verfolgen, Wegsperren und Töten politischer Gegner ist vielerorts zudem gängige Praxis. In Diktaturen wie Eritrea und Nordkorea werden Menschenrechte unterdrückt, Menschen willkürlich in Haft genommen und Verschwinden spurlos in Lagern und Gefängnissen.

» Beispiel: Besonders aus Serbien und Mazedonien fliehen vor allem Roma, die dort massiv diskriminiert werden, sich in prekären Lebenssituationen befinden, lebensbedrohlicher Gewalt ausgesetzt sind oder einfach systematisch ausgegrenzt werden durch benachteiligten Zugang zu Bildungs- und Ausbildungsangeboten sowie zum Arbeitsmarkt und damit finanzieller Sicherheit.

Mangelnde Bürgerrechte, willkürliche Regime

Repressionen, Zensur, Kriminalisierung politischer Gegner, Versammlungsverbote: Weltweit verletzen Diktaturen und unfreie Staaten systematisch Menschen- und Bürgerrechte. Dabei werden Erwachsene und Kinder geschlagen, gedemütigt, gefoltert oder sogar hingerichtet. In manchen Ländern gibt zudem extralegale Tötungen von Staatsvertretern, die nicht verfolgt werden.

» Beispiel: Abgeschottet und unterdrückt – Alltag in Eritrea – Audiobeitrag zur Situation in Eritrea (MP3):

 © Linda Staude, WDR, Nairobi, 2014
https://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio-4430.html

Wirtschaftliche Not

Arbeitslosigkeit oder schlechte Arbeitsbedingungen, fehlende soziale Absicherung und ein niedriger materieller Lebensstandard führt bei vielen Menschen zu Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit. Betroffene verlassen ihre Heimat, um in einem anderen Land eine adäquate Beschäftigung und bessere Lebensumstände. Häufig spricht man in diesem Zusammenhang von Arbeitsmigration. Mexikaner wandern auf der Suche nach Arbeit zum Beispiel in die USA aus, chinesische Arbeitskräfte ziehen nach Russland, junge AfrikanerInnen aus den Sahelländern arbeiten auf Plantagen in den Küstenstaaten. Heute findet man ArbeitsmigrantInnen über die ganze Welt verteilt.

» Hinweis: Arbeitsmigration ist kein neues Phänomen. Sie war und ist stets von Veränderungen in der Wirtschaft geprägt. Im 18. und 19. Jahrhundert führten wachsende industrielle Zentren zu neuartigen Arbeitswanderungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen europäische Länder mit der Anwerbung von sog. „GastarbeiterInnen“.

Geschlechtsspezifische Verfolgung

Bildungsverbot, Zwangsheirat, Witwenmord, Vergewaltigung, Genitalverstümmelung, Zwangsprostitution und Sklaverei führen dazu, dass vor allem Frauen aus bestimmten Ländern fliehen. Solche Fluchtgründe werden in Asylverfahren wenig beachtet. Bis 2005 war die geschlechtsspezifische Verfolgung in Deutschland kein gesetzlich anerkannter Asylgrund.

»Beispiel: Flucht vor Genitalverstümmelung in Afrika

Weitere individuelle Gründe

Der Reiz des Unbekannten, Neugier und Abenteuerlust sind ebenfalls Gründe, die zu einer „freiwillige Migration“ von Menschen führen.

Ausstellung „auf und davon“

Die Ausstellung „auf und davon“ leistet einen Beitrag aus menschenrechtlicher Perspektive zur aktuellen gesellschaftlichen Debatte über Migration und Flucht. Neben globalen Zahlen und Fakten werden v. a. die Fluchtursachen und deren Verschränkung mit europäischer Handels- und Wirtschaftspolitik sowie Fluchtwege und die Folgen der EU-Abschottungspolitik aufgezeigt. Weiterhin kommen Themen wie „Migration als Bereicherung“ und „Flucht und Migration aus Deutschland“ zur Sprache. Stets kommen Betroffene zu Wort.

Die Ausstellung kann über das Partnerschaftscentrum für Veranstaltungen in Schulen, Gemeinden etc. ausgeliehen werden.